Wäre ich doch lieber Indianer geworden!
Ebro- Delta, Black Friday, November 2024.
Ein strahlend weißer Reiher kauert auf einem Ast. Vom lieben Gott perfekt da hin drapiert. Vor der Sonnenuntergangskulisse fliegen die Silhouetten von Vögeln, die unerkannt bleiben wollen. Dahinter Bergrücken. Alles wie gemalt. Moskito- Wolken steigen aus den Lagunen auf. Die hat auch der liebe Gott gemacht. Und hinter mir rauscht- Na klar, wie könnte es anders sein, das Meer. Ach wie wohl muss sich's ergehen...
Ein Auto brettert über die Piste. Frau steigt aus, Mann bleibt sitzen. Frau macht Foto, steigt wieder ein, Mann gibt Gas. Eulenlauscher steht wieder mal zwischen den Welten. Eine Randfigur. Gehört nirgends dazu. Nicht zum Plastikstrand. Nicht zur blauen Lagune. Der Reiher kennt mich nicht. Zwischen uns ist ein Absperrseil gespannt. Menschen müssen draußen bleiben. Naturschutzgebiet.
Da gehören wir nicht dazu. Uns gehört der vermüllte Strand. Die platten Reisfelder. Die Kondensstreifen im Himmel. Das Smartphone in der Hosentasche, unser so lieb gewonnen Fensterchen zur Welt- oder das was von ihr übrig ist. Ich meine die echte, die Original- Welt. Bruchstücke von ihr liegen da hinterm Zaun verstreut. Wie ein seltenes Exponat in einem Museum.
Aber betreten verboten! Da wo die Welt noch in Ordnung ist, da dürfen wir nicht rein. Wir müssen draußen bleiben! Sonst könnten wir ja Blumen pflücken oder auf ein Schneckenhäuschen treten. Oder den Reiher vergraulen. Dafür gehört uns der ganze Rest. Also fast alles. Das dürfen wir betreten, benutzen, zertreten und kaputtmachen. Doch hier ist Naturschutzgebiet! Da hier keinen Pubs lassen. Das stört die natürliche Umwelt.
Wieder einmal steigt mir der Irrsinn zu Kopf, über den Kopf, bis ich meine fast in ihm ertrinken zu müssen. SOS! Merkt denn hier keiner was? Fällt denn niemandem auf, dass es ziemlich persönlich gespalten ist, die Welt in der man lebt als Umwelt zu deklarieren? Als ständen wir im Mittelpunkt von allem. Und als wären wir gleichzeitig außen vor. So als gäbe es den Menschen UND die Natur. Als wären wir Außerirdische auf dem eigenen Heimatplaneten. Ein Parasit, der einen fremden Körper befällt und ihn aufzehrt. Ja, so sieht das von schräg oben betrachtet wohl tatsächlich aus.
Aber selbstverständlich nicht alles, denn so Sonnenuntergängen und so sauberes Wasser und Vögelchen sind doch schon ganz hübsch anzusehen. Das ist allemal ein Foto wert. Aber wie beim Table- Dance: Nur gucken, nicht anfassen! Anfassen kostet extra.
Aber wie soll man denn etwas vor sich selber beschützen, wenn man es gar nicht mehr kennt? Wenn es nicht mehr ist als ein schönes Motiv, ein netter Post? Eine You Tube- Doku von der Wildnis, die mit jedem Klick schwindet? Ja, ich weiß, der alte Indianerhäuptling hat schon gesagt: Wir haben die Erde nur gelikt, nicht abonniert. Oder so ähnlich.
Ich steige über das Seil, nähere mich dem Exponat. Will nackt in die Lagune hüpfen, mit dem Reiher Ringel- Reiher tanzen und mich hingebungsvoll von den Mücken aussaugen lassen. Mein Blut spenden für ein bisschen touch of the wild. Der Reiher denkt nicht dran und fliegt davon. Die Sonne hat sich auch verdrückt. Keiner hier will etwas mit mir zu tun haben. Ich bin einer von denen, die alles kaputt machen. Die bestimmen, wo Museum ist und wo nicht. Die Naturschutzgebiete einrichten, weil sie nicht mehr wissen, dass sie selbst Natur sind. Das alles und jedes Respekt verdient. Und das wir nur durch achtsame Berührung Verbundenheit erfahren können. Ich fühle mich gerade fremd. Fremd der Welt hinter mir, fremd der Welt vor mir.
Aber die Moskitos lieben mich trotzdem. Bedingungslos.
Ach ja... Als man mich im KIndergarten gefragt hat, was ich werden möchte wenn ich groß bin, hab ich gesagt: Indianer! Da haben mich die Cowboys ausgelacht und sie tun es noch heute...
Wenigstens so ein bisschen Teilzeit- Indianer Versuch ich zu sein, wenn keiner guckt...

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