
Auf der Brache blüht die Vielfalt
Von Piraten, Papageien, spätblühenden Blumenkindern und anderen Realitäten.
Torrenostra, 18. Dezember 2024
Lichtflecken glitzern auf dem Wasser, als würde Meister Sonne Steinchen springen lassen. Ich schaue darüber hinweg genauso weit wie der Horizont reicht. Alles darüber hinaus wäre bloßes Wunschdenken. Vage Vorfreuden oder Befürchtungen, ganz wie man es möchte. Die Asche in der mit weißen Kieselbrocken gefassten Feuerstelle ist noch warm. Das Meer atmet ein und atmet aus. Es rauscht in den Wellen vor mir und wenn ich die Augen schließe, rauscht in mir.
Hier bin ich daheim. In einer von den Freunden der Realität vergessenen Ecke.
Ein Parkplatz wie ein Ausrangierbahnhof. Fahrzeuge stehen entspannt herum. Manche in kleinen Grüppchen tuschelnd, andere demonstrativ für sich allein die schöne Aussicht genießend. Großväter, Oldtimer, oder frühzeitig heruntergekommene. Doch alle haben sie Liebe erfahren und das strahlen sie auch aus. Eine Bachstelze zuckelt wie eine kleine Lokomotive über den kahlen Platz dazwischen. Hier darf man sein, kommen und gehen, bleiben so lange man will.
Die Katze vom 508- er Düdo gegenüber beobachtet den grünen Papagei. Ich grüße den alten Franzosen mit den Dreadlocks, auf dessen Schulter er sitzt. Ja, er hat einen Vogel, und wer einen Vogel hat, der ist entweder irre oder heilig oder beides. Er läuft weiter zu dem schwarzen Piratenschiff und geht an Bord. Ein Totenkopf mit rotem Kopftuch und einer Flasche voll Rum ist auf die Flanke des riesigen LKW's gemalt. Schwere Ketten hängen über der Zugbrücke. Urig das Holz, in dass die schiefe Türe geschnitten ist. Drinnen steht Cederic hinter der Bar. Er schenkt seinem Landsmann einen Absinth ein. Selbstgemacht natürlich, wie alles hier drin. Das skurrile Museum eines Freibeuters, der in den Bergen seiner Heimatinsel Kräuter pflückt und daraus seine Gebrüder herstellt. So reist er dann von Insel zu Insel, legt in den Häfen in den Gestaden der Gesetzlosen an und schenkt aus. Ansonsten arbeitet er an seinem Schiff oder spielt Boule.
Warum auch nicht? Hier kann jeder das sein als er möchte und man stellt sich gegenseitig nicht in Frage. Du willst Pirat sein? Okay Bruder, dann bist du eben Pirat! Ich bin ein Eulenlauscher. Alles klar, was auch immer das ist. Meine nächsten Nachbarn hier leben zu zweit auf sechzehn Rädern in vier Wohnmobilen. Dabei haben sie auch noch zwei PKW's für die täglichen Besorgungen. Wer es geräumig mag, warum nicht? Ein anderer glaubt er gehöre dem Zwergengeschlecht an, betreibt Handwerkskunst, schnitzt Holzlöffel, jeden Tag einen seit 20 Jahren, schmiedet Messer und schießt Bogen, um im bevorstehenden Systemzusammenbruch seine Fluchtburg samt den Kastanien, die er dort gehortet hat, gegen die anstürmenden Horden zu verteidigen. Herzlich Willkommen, Bruder Gimli!
Heute Abend ist Party bei den Punks, die die verlassene Strandvilla besetzt haben. Denen gehört alles und nichts. Fuck the system! Solange die Container gut gefüllt sind, die Brauereien brauen und der Schornstein süßlich qualmt. Ja schönen Guten Tacho auch, Hier hasse ne Mark!
Dann gibt’s freilich auch die chronisch verspäteten Blumenkinder, die mit all ihrer kosmischen Liebe bald schon Donald Trump, Wladi Putin und sogar Benjamin Netanjahu zum weinen bringen werden. Just believe in it since 1968! Und so lange lassen die Spätblüher Krishna einen guten Mann sein. I trust! Make Love great again!
Der Weißhaarige von Nebenan schnallt sein Moped vom Sechzigerjahre- Omnibus, schwingt sich in den Sattel und brettert davon in die nächste Kneipe. Vorbei am nur noch mit Panzertape zusammengehaltenen Hymer- Mobil der geflohenen Mutter nebst Freilernerkind, die hier schon seit fast einem Jahr gestrandet ist, an Wolfram, der wie jeden Tag an seiner Solaranlage herumbastelt, in gespannter Naherwartung des apokalyptischen Sonnensturmes und all den anderen Spezialgewächsen, die hier auf Gottes vergessenem Acker gedeihen.
Gerüchte besagen, dass hier bald ein Golfplatz entstehen soll. Ungenutzte Brachfläche. Dann kämen die Unkrautvernichter, würden den Platz vom Wildwuchs säubern und eine Monokultur anlegen, auf denen sich ein paar reiche Systemdiener die Füße vertreten können. Freilich werden sie nie den Rum des Piraten kosten, die verblümten Blicke der Mantrasänger ernten. Weil sie selber keinen Vogel haben werden sie niemals den grünen Papageien Kaya kennenlernen und auch nicht von der Containerplatte der Strandvilla- Punks kosten. Und von Gimli würden sie garantiert nicht eine Kastanie abbekommen, wenn ihre Welt einmal zusammenbricht. Wahrscheinlich würden sie nicht einmal mehr die Bachstelze antreffen, die hier tagtäglich spazieren geht.
Doch bis dahin ist alles schön bunt hier. Es blüht die Vielfalt auf der Brache und jeder darf sein, wie er oder sie das möchte.
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