
Meine Geschichte über ein wahres Weihnachtswunder. Für die Rückeroberung der heiligen Nächten aus den Klauen des Coca- Cola Schwindlers...
Hier gibt es sie auch vertont im Hörtheater!
Diese Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten. Ähnlichkeiten mit bekannten Personen sind nicht beabsichtigt und dennoch nicht rein zufällig.
Dirty old Town! Dirty old Town!
Münzen flogen in meinen Hut. Eine Tüte billige Plätzchen daneben. Ein Mann mit falschem Bart und rot- weißem Mantel stellte mir eine Schokoladenminiatur seiner selbst vor die Füße. Und ich sang einfach weiter. Klamme Finger rannten die Klampfe auf und ab, taten brav was sie geheißen.
Ich sang alles außer Jingle Bells. Jingle Bells und Konsorten. All das was aus jeder Ecke dudelte, so allgegenwärtig Coca- Cola oder Hundekot. Last Christmas I gave you my heart... Oh ja, ich liebte und ich hasste die Weihnachtszeit!
Niemals sonst landete soviel Geld in meinem Hut. Ich war mit Sicherheit einer der Spitzenverdiener in dieser Fußgängerzone. Ganz ohne Jingle Bells. Plätzchen, Kerzen, der Duft von Tannenharz. Wer mochte das nicht? Doch waren die Plätzchen nicht mehr die von Oma, die Kerzen aus Kunststoff und Strom, anstelle von Wachs und Feuer und die Tannen aus Plastik. Die ganze Welt schien mehr und mehr zu Plastik zu werden und so auch der Sinn der besinnlichen Tage.
Aber ihr Kinderlein kommt, lasst uns froh und munter sein! Fröhliche Weihnacht überall und leise rieselt der Schnee. Mehr auf den Bahnhofklos als vom Himmel. Ja, ich war einer von den sogenannten Weihnachtsmuffel, der ein treudoofe Mine zum falschen Spiel machte. Dabei war ich doch als Bub ein glühender Verehrer des Christkindes gewesen. Ein treuer Hirte beim Krippenspiel, ein gerne doofer Einfaltspinsel, der nicht hinterfragte warum der Weihnachtsmann nur kam, wenn der Vater alleine Zuhause war, während Mutter und Kinder die Kirchbank drückten.
Stille Nacht, heilige Nacht, was ist bloß aus dir geworden?
Ein Etikett unter dem Preisschild. Mehr. Immer mehr. Fressen. Saufen und Kaufen.
Ich wollte nicht aufgeben. Meinem Glauben treu bleiben, denn es war ein schöner Glaube. Der Glaube an einen guten Geist, der in den dunkelsten Nächten des Jahres umging, überall Lichter anzündete, Glöckchen läutete, Lebkuchenduft verströmte. Der nicht unnahbar war wie der gestaltlose Liebe Gott. Der wunderbar warm war, weil ich ihn sehen konnte, immer dann wenn ich die Augen schloss.
Auch beim Singen schloss ich die Augen, um den vielen Augen um mich herum zu entkommen. Ich wollte nicht das mir jemand auf offener Straße in die Seele schaut, denn die liegt mir beim Musizieren stets sehr blank. Als ich meine Augen wieder öffnete, sah ich nicht mehr die Buchhandlung gegenüber. Da war ein Gesicht vor mir, dass einen echten Bart spazieren trug. Er rauschte wallend bis über die Brust. Ein schneeweißer Wasserfall aus Haar. Unter der Lederkappe quollen ebenfalls weiße Strähnen hervor. Ich weiß nicht mehr welche Farben seine Augen hatten. Zu tief war ihr Blick in meine Seelenfenster. Er lächelte mir gütig zu. Dann war er wieder verschwunden. Fort geschwommen im Menschenstrom. Unsichtbar. Ich stolperte über meine Akkorde, flog aus dem Lied und musste mich an die Schaufensterscheibe hinter mir lehnen.
War er das? War das jener nun schon seit so vielen Jahren Totgeglaubte? War er am Leben? Gab es ihn doch?
Es war ein Penner. Unrasiert und ungeschoren. Die Backen rot vom Suff. Er hat dich angesehen weil du auch einer von der Straße bist. Du arbeitest nur in einer anderen Etage. Er im Erdgeschoss, ganz unten. Und du irgendwo dazwischen. Zwischen Gosse und Bühne. Immer vom Auge des Betrachters abhängig. Dessen Ohren und dessen Portemone. Komm sing weiter. Dirty old Town! Dirty old Town!
Mein Hut war gut gefüllt. Feierabend. Ich stopfte mir sämtliche Taschen voll mit Kleingeld, bis ich zwei Kilo schwerer wog. Die Gitarre kroch in ihren Schlafsack, die Plätzchen dazu. Ich schulterte sie und band die Weihnachtstüte mit den Hundeleckerlis daran fest. Hinter mir trottete ihr Besitzer. Sicherlich machte mein wölfischer Bandkollegen mehr als nur die Tüte Hundezeug aus. Mann der singt mit Hund der lieb guckt hieß das Geschäftsmodell. Für jeden was dabei.
Noch ein Blick zurück: Alles an Bord, bis auf den Schoko- Nikolaus, den hatte ich demonstrativ stehen gelassen. Ich setzte mir meinen Hut wie einen Helm auf und bahnte mir meinen Weg durch den Glühwein- und Bratwurstdunst und die gierig schaukelnden Einkaufstaschen.
Und da sah ich ihn sitzen. Vorm Karstadtschaufenster. Den Alten. Den Penner, der es gewagt hatte, mir vor allen Leuten in mein Innerstes zu schauen. Hinter seinem leeren Pappbecher. Nur ein Stein lag darin, damit er nicht wegflog. Nicht mal einen ordentlichen Almosenhut konnte er sich leisten. Schon gar keine Gitarre. Nur ein Teelicht im leeren Senfglas. Ich stand da und schaute, nein ich glotzte, bis ich dachte, ich gaffe und aus lauter Verlegenheit griff ich in eine meiner prall gefüllten Hosentaschen und warf ihm eine handvoll Kleingeld in den Becher, so dass dieser fast überquoll. Doch er schaute nicht einmal auf, sondern nickte nur.
Heiseres Hundegebell.
„Nimm deinen Köter an die Leine!“
Ich fuhr herum. Welch erbärmliches Gezetere. Die Frau zog ihren Duracell- Waschdackel wie einen Fisch an der Angel in die Luft und nahm ihn auf den Arm, während ihr edler Recke sich mit breiten Armen schützend vor sie stellte. Mio, der mindestens halb so schwer wie der Mann und zehnmal größer als das Hundepüppchen war, schnupperte mit einem lässigem Schwanzwedler an dessen Schuhen. Ich schnalzte einmal mit der Zunge und er kam wieder zu mir.
Als ich mich wieder umdrehte, war der Alte verschwunden. Wie eine Fata Morgana im Adventsgestöber. Nur das Teelichtlein stand noch da.
Vielleicht war er mit seinem vollen Becher schon in der nächsten Kneipe und leerte ihn dort, flüssig wie er nun war. Oder an der Tankstelle, denn dort ist es bekanntlich billiger. Oder er war bloße Einbildung, wie es Weihnachtsmänner nun mal sind. Ich bückte mich und nahm das Teelicht im Senfglas an mich. Dann bog ich aus dem Trubel in eine Seitenstraße, hörte das Stimmengewirr leiser werden, bis auch die letzte Note von Jingle Bells an meiner hintersten Gehirnzellenwand verblasst war.
Was hartnäckig blieb war das Geblinke von Kunstlicht hinter jedem zweiten Vorhang. Und der rotweiße Coca- Cola Mann mit dem falschen Bart, von dem ich dachte, ich hätte ihn stehen gelassen. So leicht ließ er sich nicht abschütteln. Er hing schlaff an Balkongittern, wackelte dick aufgeblasen an Straßenlaterne mit seinem Hintern, grinste clownhaft in Fensterdekorationen. Er war überall, wie ein Spuk. Und ich bin sicher das auch er es war, der mir das Teelichtlein in der Hand ausblies.
In einer stillen Ecke blieb ich hinter einem Baumstamm stehen. Dort wo er mich nicht sehen konnte. Ich schloss die Augen. Doch da war er wieder. Da hatte er mir aufgelauert. Tief in die Netzhaut gebrannt. In die Hirnwindungen gegraben machte er sich bereit meine Seele zu entern. Ein Untoter im Softdrink-Pelz. Ein Scheme mit einem Sack voll Lügen. Eine Parodie echten, kindlichen Weihnachtszaubers, der dort in meinen Seelengründen noch immer glimmte. Heimlich, stille und leise. Wenn alles schläft hält er dort einsam Wacht. Pustet durch seinen langen Bart in die Glut, auf das sie nicht gänzlich erlischt.
Nun schwang der Maskenmann an seinem Seil über das Gewässer. Um den Zauber gänzlich auszutreiben. Damit endgültig der Schein das Sein bezwingt. Das auch ich die Illusion anbete. Oder sie verfluche. Ganz egal. Hauptsache das uralte Feuer lodert nicht wieder auf.
Was ist wirklich wirklich?
Und da sprühte ein Funke durch das Dunkel hinter meinen Lidern. Das Enterseil des heranschwingenden Seelenkaperers wurde durchtrennt und er stürzte haltlos ins Nichts. Ich öffnete langsam die Augen. Mein Kerze brannte wieder. Mir war als hätte ich das Klicken eines Feuerzeuges gehört. Aber niemand war da. Nur der treue Hund und ich. Wissend schaute er mich an und schwieg, so wie ein Undercover- Wolf schweigen muss. Er lief los und ich folgte ihm.
Er streunerte in den Park. Mich fröstelte. Die Temperatur war ganz plötzlich stark abgefallen. Schon knirschte das Gras unter meinen Schritten. Autos rauschten. Ansonsten schwieg die Zivilisation. Efeu kroch über die alte Stadtmauer. Jedes Blatt hatte ein Gesicht und die Gesichter tuschelten miteinander.
'Schaut da kommt er!'
'Ja, da kommt er.'
'Er hat ein Licht mitgebracht.'
'Ja ein Licht. Ein Narr mit einem Licht.'
'Ganz allein in der Nacht. Ein Funkeln im Dunkeln.'
So höre ich es Munkeln. Mio lief ohne irgendwo das Bein zu heben im Wolfstrab zu einer übersehenen Ecke des Parks. Ungepflegt. Wildgewuchert. Hecke.
Ich schützte mit der freien Hand das Licht. Kein Phantom sollte es mir mehr ausblasen. Ansonsten folgte ich brav an der Leine meines Gefährten in die Wildnis. Ins Gesträuch. In die kleine Blase natürlicher Ordnung inmitten der aufgeräumten Unordnung menschlichen Gutdünkens. Mio ging aufrecht, die Nase am Boden. Auch ich hatte den Zinken an der Scholle, krabbelte durch den geheimen Gang des Fuchses. In meiner Rechten das Licht, das nicht erlöschen durfte. Der Holunder betastete mich mit seinen Zweigen. Wie ein Türsteher der Schwarzdorn. Streifte Gedanken von mir ab, die hier nichts zu suchen haben. Dann war ich drin. Ich hörte Mio schmatzen. Er hatte gefunden, was er gesucht hat. Mich hatte gefunden, was ich nicht gesucht habe. Und doch- Alles geschieht sinngemäß, wenn man der unsichtbaren Schnur folgt.
Im Schein der Kerze schaute mich der uralte Geist an. Wacher Seelenblick. Offene Fenster. Der weiße Bart mit Raureif darinnen. Wallendes Haar unter der Kapuze des braunen Mantels. In der Hand einen Wanderstab. Von der Stiefelspitze bis zum Kapuzenzipfel kaum einen halben Meter groß. Um die Figur lagen Haselnüsse verstreut. Rot glänzte ein Apfel. Ein Schälchen mit Milch. Ein halb abgebranntes Räucherstäbchen. Hagebutten, Schlehbeeren, Wacholderzweige. Nichts bewegte sich. Alles stand still. Die Äste. Der Wind. Die Zeit. Der Wintergeist und ich. Im Angesicht des Lichtes.
Wer hatte das hier gemacht? Wer hatte diese Figur aus Holz, Stoff und Schafswolle gefertigt? Die guten Gaben verteilt? Wohl ein Mensch wie du und ich. Doch wer mochte ihm dies zugeraunt haben? Wohl ein guter Geist wie er. Der Mensch gibt ihm ein Gewand. Damit er ein sinnlich erfassbares Gegenüber hat. Dieser war kein Untoter. Kein Phantom. Kein fauler Zauber. Dieser hier war echt, denn er entstammte Herzensgründen. Ich wusste, was ich zu tun hatte, ohne darüber nachzudenken.
Mit zwei Fingern zog ich das Räucherstäbchen aus der Erde und ließ es von meiner Flamme wachküssen. Es qualmte würzig und süß. Dann stellte ich mein Weihnachtslicht zu Füßen des Weihnachtsgeistes. Von Rauchfahnen umweht küsste es auch ihn wach. Seine Augen flackerten. Meine Augen flackerten. In diesem Wechselspiel der Geistesfunken nickten wir uns zu. Sahen uns. Bejahten uns in unserem Dasein.
„Es gibt dich also doch noch.“ sagte ich und hörte mit meinem inneren Ohr:
„Es hat mich immer gegeben und wird mich immer geben, solange mich jemand erkennt.“
„Ich sehe dich und es berührt mich, dich wiederzufinden, alter Freund.“
„Alles lebt durch die Erkenntnis. Bekommt Wesen und Gegenwart im Auge des Betrachters.“
„Als Kind habe ich es immer gewusst, bis mir erzählt wurde, du seist bloß frei erfunden. Jeder der noch an dich glaubte und älter als fünf Jahre war, lief Gefahr, ausgelacht zu werden. Überall hingen die Puppen die beweisen sollten, dass du aus Kunststoff bist.“
„Kindermund tut Wahrheit kund. Kinderaugen tun zum Wundern taugen.“
Mio hatte sich ruhig neben mich gelegt. Wir waren allein mitten im Nirgendwo. In einer Hecke. Im tiefen Winterwald. In einem anderen Kosmos im Anbetracht einer Eule.
„Es ist wie mit den Bären.“ sagte er.
„Auch diese hat man aus den Wäldern vertrieben. Hat den Kindern Teddys gegeben. Viele von ihnen waren und sind nur aus Plüsch. Manche aber haben Seele eingehaucht bekommen. Durch die Liebe dieser Kinder.“
„Ich habe aufgehört, den Weihnachtsmann zu lieben. Die Weihnachtszeit. Die rotweißen Dämonen. Überzuckerten Glühwein und Bratwürste aus blutigen Schlachthöfen. Die Konsumhorden. Die totgespielten Lieder zur falschen Zeit am falschen Platz. All die Scheinheiligkeit. Die Besinnungslosigkeit der besinnlichen Tage.“
„Ja so ist es wohl. Doch mag es nicht die Weihnacht sein, die du als Kind so geliebt hast. Es ist der Zeitgeist, und das was er aus ihr gemacht hat. Was er aus mir und dir gemacht hat. Dennoch sind wir in unserem Wesenskern immer noch die Gleichen wie von damals. Vor zehn, vor zwanzig, dreißig, hundert oder tausenden von Jahren. Lange bevor dieser ruchlose Zeitgeist aus Schall und Schein die Balkone und Herzen der Menschen enterte.“
„Wie lange mag es her sein? Wie weit mag es weg sein?“
„Zeit existiert nur an Massen. So richtet sie sich auch nach der Schwere deiner Gedanken. Als Kind war ich dir nahe. Da warst du leichtsinnig und gutgläubig. Und jetzt gerade sind wir uns wieder näher gekommen. Ist es nicht ein Wunder?“
Der Wind bewegte die Äste und ließ die Sterne über ihnen tanzen. Hinter dem Schleier aller künstlichen Lichtquellen strahlten sie ungebrochen. Und auch ich strahlte.
„Das Feuer zur Wintersonnenwende brennt schon so lang. Du weißt es doch. Es brennt schon so lange, wie mich die Menschen mit meinem Schlitten über den Himmel ziehen sehen. So mag auch ich es gewesen sein, den die drei Könige für einen Stern hielten, als ein hell leuchtender Mensch in einem Stall geboren worden ist. Alles ist wahr. Alles was du je über Weihnachten gehört hast ist wahr. So wahr wie du es für wirklich hälst.“
So wahr wie ich es für wirklich halte. Ich bedankte mich. Küsste die kalte Erde und kroch langsam rückwärts. Im Kerzenflimmern sah mir der Weihnachtsmann noch nach, bis die Hecke ihren Vorhang schloss.
Auf meinem Nachhauseweg durch die Betonschluchten, mit der Gitarre auf dem Rücken und dem Hund vorneweg, dachte ich noch über diese wundersame Begegnung nach.
Ja, es gibt den wahren, den echten Weihnachtsgeist. Die heilige weil heilsame Bedeutung dieser geweihten Nächte. Dieser Zeit zwischen der Zeit. Es lohnt sich sehr, sich derer zur erinnern. Unter dem Coca- Cola Mantel, den der Zeitgeist des Kapitalismus dem alten Sturmgott übergestülpt hat und hinter den Gittern, die der reduktionistische Glaube, man könne die Welt erklären wenn man sie in ihre materiellen Bestandteile zerlegt, vor das Wunderbare gezogen haben, gibt es den guten Weihnachtsgeist, an den all die Kinder um und in uns glauben. Wir können die Weihnacht verkaufen. Wir können sie verschmähen und verachten. Wir können sie aber auch aus den Klauen dieses doch so vergänglichen Zeitgeistes befreien und ihre wahre Bedeutung zurückfordern. Denn so lange unsere gute alte Mutter Erde um die Sonne tanzt, wird Wotan, wird Odin, wird der Wintersmann, der Weihnachtsgeist, wird der dem man viele Namen gab, über den Himmel ziehen und Segen schenken, denen, die ihre Stiefel vor die Türe stellen. Die ihren Kamin reinigen, damit er einziehen kann. Die ihre Herzen für ihn öffnen und sich wundern wollen.
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sehr schön, berührend. Dafür danke ich dir und schicke einen herzlichen Gruß aus der Taiga