Der letzte Goldgräber

Veröffentlicht am 23. Januar 2025 um 21:48

After the Goldrush 2.0

 

Rodaquilar, Capo de gata, irgendwo in den Bergen, Mitte Januar 2024

 

Staubwolken folgen mir auf der Piste in die Einsamkeit. Keinen sehen, keinen hören. Keine Fragen. Nur sprachlose Antworten. Der Motor verstummt und ich steige aus. Ein Grüppchen Zwergpalmen tuschelt mit dem Wind. Sonst nichts als stoppelige Berge. Durch Thymian und Artemisia laufe ich einen dieser vor sich hin bröckelnden Niemandsberge hoch. Auf halbem Wege geben auch meine Schritte endlich Ruhe. Jetzt habe ich sie vor mir, hinter mir und all um mich herum. Die zwei, die man heutzutage so selten zusammenfindet: Die Stille und die Weite.

 

Dazwischen verstreut die wie unbedachte Denkmäler die Ruinen redlicher Tage. In Zeitlupe zerfallende Kadaver des großen Goldrausches. Sie erinnern an Zeiten des Lärms. Menschen mit Pickeln, Schaufel und Eseln, später mit Bohrern, Dynamit und Lastwägen. Ameisen die sich in die Berge fraßen, um ihnen das Gold aus den Eingeweiden zu reißen. Abraumhalden vor hohlen Augen, wie nie geheilte Narben. Oder sind es Mäuler? Mundlöcher nennt man die Stolleneingänge doch, erinnere ich mich an die Schaubergwerksführung in der 'Weißen Grube' am Donnersberg. Das erste Mal, dass ich unterirdisch war. Hier aber steht nichts zur Schau. Hier steht alles nur für sich selbst. Wenn man spurlos vom Erdboden verschwinden will, ist dies der perfekte Ort dafür.

Der Tag verschwindet als gelbes Band hinter schwarzen Zacken. Davor die Mauern von Maria y Josefa. Eines der Bergwerke, dass viel erlebt hat und dennoch keine Geschichten erzählt. Hier ist nichts sentimental außer ich. Nur der Ruf des Nachtwächters ist übrig geblieben. Uhu. Uhu.

Der Weckruf des Mondes.

Gute Nacht, nimmermüde Welt.

 

Am nächsten Morgen warte ich vergeblich auf den Wachkuss der Sonne. Mit einer Kaffeepfütze in der roten Blechtasse ziehe ich los. Nur ich und der Uhu. Ein paar Tage kein hallo, wie geht’s, keine Wetter- und sonstige Schicksalsprognosen, einfach nur nichts und niemand. Stille und Weite. Lonesome Cowboy- Sein in diesem spanischen Spaghetti- Wildwest. Ich pfeife die Melodie von The good, the bad and the ugly. Clint Eastwood als Blonder, Lee van Cleef als Sentenza und wie der hieß der Tuco gespielt hat weiß ich nicht mehr.

Als ich ein Klopfen höre, leere ich die letzten braunen Tropfen in den Staub und hänge die Tasse an meinen Gürtel. Ich greife nach meinem unsichtbaren Colt und laufe die Felswand entlang hinter die nächste Biegung. Da sitzt er im Geröll. Er legt seinen Pickel beiseite, um seine Hand frei zu haben. Ich muss schneller sein als er. Ein langer Kerl mit Kappe und ein paar unter ihr hervorgeschälte Locken. Dunkler Bartansatz. Vermutlich Mexikaner. Unsere Blicke verhaken sich ineinander.

Er zuckt mit der Wimper und ich ziehe zuerst.
„Have You found the gold?“

Die Stille rieselt in tausend Scherben zu Boden. Es war entweder genau die richtige oder genau die falsche Frage. Ihr folgt ein zehnminütiger Monolog des mexikanischen Holländers. Was als Scherz gedacht, erweist sich als der Sinn seines Lebens. 'Ist's my addiction.' Er wühlt im Geröll herum auf der Suche nach dem großen Nugget.

„Spain ist full of gold, you know?“

Und er ist da, um es zu heben. Außerdem auch wegen der Stille und der Einsamkeit. Ich frage mich wie lange schon? Denn sein Kübel der aufgestauten Worte ergießt sich sintflutartig über mich. Schließlich springt er auf und reicht mir die Hand.

„I'm Jelle!“

„How old are you?“

„Oh really?“

„Same Like me!“

Noch ein Handschlag und ja ich mag auch die Einsamkeit, manchmal, und das bringt mir noch einen Handschlag ein. Von nun an sind wir Schicksalsgenossen.

Er bittet mich zum Kaffee, aber ich bitte darum keinen Kaffee mehr zu trinken. Ich sage ihm nicht warum, aber er ahnt es wohl und sagt:

„I have this Hyperaktive- Syndrome, You know?“

Ja, ich habe schon davon gehört.

Und so ziehen wir gemeinsam durch Thymian und Geröll. Schon die Römer hätten hier gegraben. Später die Spanier, dann die Mauren, dann wieder die Spanier und immer so weiter bis in den Achtzigern des letzten Jahrhunderts endgültig Schluss war.

„This hole mountain there ist like a cheese from switzerland!“

Obwohl nur Schrittgeschwindigkeit quietschen meine Absätze. Vollbremsung. Mitten im Gesträuch tut sich ein Loch auf dessen Boden ich in der Dunkelheit nur vermuten kann. Auf traditionell spanische Art und Weise mit einer halbverotteten Palette gesichert. Hier wird Eigenverantwortung noch groß geschrieben.

„You must be very careful here!“

Das tiefste Loch von dem er jemals gehört hätte sei neunhundert Meter tief, was vier Mal so tief sei wie die Twin-Towers hoch wären, bevor sie gesprengt worden sein.

„You know about that?“

Ja ich kenne sämtliche Theorien darüber von sämtlichen Theoretikern und glaube auch, dass es die Lemurianer gewesen sein könnten, sei mir aber nicht sicher und vermeide damit weitere Offenbarungen zu diesem totgerittenen Pferd.

Er hätte ausgerechnet, das man im Falle eines Falles noch geschlagene Neunzig Sekunden Zeit hätte, über sein vergangenes Leben zu reflektieren, bevor man zu einem Häufchen Brei transformiert wird. Ich überlege ob er sich vielleicht um eine Null vertan haben könnte, aber auch neunzig Meter wären ausreichend breitauglich.

„I'm Jelle!“

Er reicht mir die Hand. Das hatten wir doch schon. Aber ich mache noch einmal mit. Er hätte seiner Ex- Freundin versprechen müssen, dass er nicht mehr alleine in die Minen geht. Deshalb suche er nur Übertage. Ich frage mich, wie sehr Versprechen an Ex- Freundinnen noch bindend sind, aber stelle bald fest, dass er kein Einzelkind sein konnte und seine Mutter auch noch eine Porzellankiste als Tochter haben.

Ob ich einmal mitkommen wolle in eine der Goldminen. Das Goldsuchen sei nämlich auch durchaus ein lohnendes Unterfangen. Er greift in seinen Rucksack und entfaltet einen komprimierbaren Metalldetektor. Das Ding fängt an zu piepen wie R2 D2. Damit hätte er schon Erfolg gehabt. Ich nicke. Vor allem in einem Flussbett in der Extremadura. Ich nicke. Da hätte er vorher schon gewusst das es klappt. Ich nicke. Er habe es nicht nur gewusst, sondern auch gefühlt und das ist das Geheimnis der Manifestation. Ich nicke und nicke. Wir sind Schöpfer unserer Realität. Wenn wir die Bibel nur richtig verstehen würden, würden wir feststellen, dass wir selber Gott wären. Ob ich ihm folgen könne? Ja, klar. Ich nicke.

Kannst du von deinen Goldfunden leben, will ich wissen.

„Noch nicht. Aber mein Plan ist das zehn Jahre zu machen und dann ein Kilo zusammenzuhaben. Das wären dann Hunderttausend Euro.“

„Und wie lange machst du das schon?“
„Zwei Jahre.“

„Und wie viel hast du schon gefunden?“

„Fünf Gramm!“

Er strahlt und ich nicke.

Am Abend bietet er mir an seinem alten Kombi mit dem Dachzelt noch eine Kopje Koffi an. Ich lehne dankend ab. Dann fragt er mich ob ich zufällig ein bisschen Gras für ihn beziehungsweise seine Rückenschmerzen hätte. Kommt wohl vom vielen Goldgraben, denke ich mir und schenke ihm eine geschenkte Blüte. Er freut sich riesig.

Ich mag den Kerl. Er erinnert mich an einen kleine Jungen auf der Schnitzeljagd.

Am nächsten Morgen steht er mit tippelnden Füßen vor meinem Fenster. Erschrocken blicke ich von meinem Laptop auf und vertröste ihn auf Nachmittags.

„Ok, man, see you later!“

Um Punkt Ein Uhr steht er erneut mit gepackten Rucksack vor meinem Fenster. Ich reiße meine mit unsichtbaren Fäden an der Tastatur verklebten Finger los, stecke meine Stirnlampe und eine Flasche Wasser in meinen Rucksack und springe aus dem Camper.

Wir werden zu einer etwas abseits gelegenen Mine gehen. Noch mehr Abseits. Ich bin einverstanden. Mit seinem 'Spliff' im Mundwinkel geht er voran.

„What's your Name again?“

Ich reiche ihm mal wieder die Hand.

„Ok, I'm Jelle.“

Wir schlendern zu einer Schlucht. Davor Ruinen der Verhütungsgebäude. An den Hängen Abraumhalden. Und Löcher. Überall Löcher.

Hier in der Nähe hätten sie Indiana Jones und der letzte Kreuzzug gedreht. Die Szene ganz am Ende mit dem alten Ritter. Ja, auch Indiana Jones war ein Schatzjäger und wenn der hier schon unterwegs war, dann muss es mit dem Gold was auf sich haben.

Auf unsichtbaren Vorsprüngen wandern weiße Ziegen eine Steilwand entlang. Wahrscheinlich die Seelen verstorbener Bergleute, wenn wir schon in Hollywood sind.

Wir müssen immer wieder stehenbleiben, denn er pfeift wie eine ausgediente Grubenlokomotive. Früher hätte er auf einer Ölplattform in der Nordsee gearbeitet. Und irgendwann hätte er Lungenkrebs bekommen. Er hätte gehustet, einen metallischen Geschmack im Mund gehabt und dann Blut ausgespuckt. Da wusste er, dass Schluss mit lustig war. Der Tumor wurde mit einer Sonde zerstört und seitdem sei er gesund, bis auf seinen Husten, aber der käme vom Rauchen. Das sei normal. Es käme eben auf die Gedanken an. Und die richtige Handhabung des Prinzips der Manifestation.

Ich nicke.

„What ist your name again?“

Die Hand lasse ich dieses Mal in meiner Tasche.

Endlich stehe wir vor einem von ihm sorgfältig ausgewählten Stollen. Im Eingangsbereich liegen hunderte mit Sand gefüllte Plastiksäcke herum. Warum auch immer. Es kommt mit sehr spanisch vor. Dieses Prinzip des 'Aus den Augen aus dem Sinn'. Wenn das Interesse an einer Tätigkeit oder an einer Infrastruktur verloren geht, dann auf zu neuen Herausforderungen. Und alles was war bleibt einfach da wo es ist.

Bevor wir eintreten, muss ich ihm noch eine Sache versprechen: Das wenn er eine Panikattacken bekommen würde, ich ihn nicht allein in der Mine zurücklassen würde.

Ich nicke.

Man müsse sehr aufpassen. Wegen der Gase. Methan, Kohlendioxid, Kohlenmonoxid. Also in der Mine nicht rauchen und nicht einschlafen. Sonst wird man nicht mehr wach...

Ich frage ihn ob er zur Sicherheit einen Kanarienvogel in seinem Rucksack hätte. Er schaut mich verdutzt an und schüttelt den Kopf. Mein angedeutet es Zwinkern war zu wenig.

Allein in den letzten Jahren wären drei Menschen hier umgekommen. Abgestürzt oder Steinschlag oder beides zusammen. Ich frage mich, wie viele Leute die nicht in dieser Statistik vorkommen wohl in dieser Unterwelt vor sich hin gammeln. Leute die keiner je gesucht hat. Leute die überall und nirgends seien könnten, sowie er und ich.

Staubige Gänge im Schein unserer Stirnlampen. Kreuzungen. Tote Enden. Im Vergleich zu den natürlichen Höhlen, in denen ich mich sonst herumtreibe, sehr überschaubar. Hier und da gibt es Durchbrüche zu obendrüber liegenden Gangsystemen. Jelle zeigt mir Bohrlöcher und abgebrannte Lunten von Dynamitstangen. Dann packt er wieder seinen R2-D2 aus dem Rucksack und tastet mit ihm die Wände ab. Ich lasse ihn in einem der Gänge sitzen und folge einem anderen. Es geht um ein paar Kurven, dann klafft jäh ein Schacht vor mir. Ich werfe einen Stein hinein und höre seinen Aufprall nicht. Vielleicht war er zu klein. Jedenfalls ist das Loch unheimlich genug, dass ich nicht Versuche drüber zu springen, auch wenn hintendran eine Leiter steht die nach oben führt. Wie bei einem Jump and Run Spiel. Nur das das erste Leben auch gleichzeitig das letzte ist. Zumindest in dieser Form. Also zurück zu Jelle.

Der hackt und kratzt und detektiert immer noch an der gleichen Stelle herum.

„Something is here!“

Ich nicke.

„Red Sand! It's a good sign.“

Warum auch immer. Ich nicke.

Ich sehe einen 1,90 großen kleinen Jungen im Sand spielen. Völlig ergriffen von dem, was er da tut, von dem nur er genau weiß, warum er es tut.

Ich folge weiter diesem Gang, sehr verstürzte Balken, Möglichkeiten die nach oben oder nach unten führen. Optionen für Lebensgefahr oder einfach nur auf sicherem Grund zu bleiben. Er hat mir von Eseln erzählt, die in den Minen zu lebenslänglich er Zwangsarbeit verurteilt waren, ohne das sie jemals etwas anderes verbrochen hatten als Esel zu sein. Deswegen hätten die Esel heute so dunkle Augen, das käme eben davon, dass sie immer im Dunkeln leben mussten. Ich hatte geantwortet, ebenso wie die Sache mit den Twin Towers und den Lemuriern nicht ausschliessen könne, aber ich sei mir dessen nicht so sicher. Falls hier irgendjemand irgendwo verloren gehen sollte und falls irgendjemand diesen irgendjemand irgendwie vermissen sollte, wie sollte irgendjemand diesen niemand in diesem Gewirr und Stollen und Schächten jeweils wiederfinden? Anders als in den natürlichen Höhlen bekomme ich hier schnell ein Gefühl von Gottverlassenheit. Keine natürlichen Adern, die das Wasser in die Erde gewaschen hatte, sondern gewaltsam aufgerissene Wunden, die nie wieder zugenäht wurden und nur ganz langsam vernarben. Ich will hier raus.

Jelle ist immer noch mit seinem Weihnachtsgeschenk beschäftigt. Mit Zähnen und Klauen versucht er das Geschenkpapier aufzureißen, um endlich den Nuggets blank zu legen. Es piept immer lauter und da endlich greift er in den Staub und zieht den rostigen Nagel hervor.

Erschöpft wie nach wildem Sex rollt er sich zur Seite und raucht die Zigarette danach. Dann beerdigt er den Nagel wieder.

The Show must go on.

„You know, If you want to manifestate something, You have to know it. Not Just believing. Believing is the church. You have to Go through all this proofs of your trust. Every Nail ist a step closer to the Gold.“

I believe und ich nicke.

Lass uns rausgehen und das Abendgold nicht verpassen. Das versprüht die Sonne heute mal wieder gratis, schlage ich vor und da er seiner Ex- Freundin was versprochen hat, ist mein Vorschlag Gesetz.

Auf dem Weg zum Licht am Ende des Tunnels dann doch nochmal Großalarm. R2-D2 und er stürzen erneut Kopf-voran in den Staub.

„Du weißt ja, wo der Ausgang ist“, sage ich und lasse die beiden allein.

Meine Nase läuft mir voraus. Wegen dem Staub. Endlich draußen. Mal wieder eine Wiedergeburt. Die Kaninchen schlüpfen durch den Thymian. Sie graben auch ihre Stollen. Erste Zistrosen blühen zistrosa und die Sonne rollt die Westflanke des krummen Bergrückens hinab. Ich setze ich auf einen Stein und wäre ich ein rauchender Cowboy, wüsste ich jetzt, was ich zu tun hätte. So tue ich einfach nichts als da zu sein, in der Weite und der Stille.

„Hey Man, sorry. What's your Name again?“

„I found something!“

Er springt vor mich und die Abenddämmerung wirft ihm den goldenen Mantel über. Feierlich hält er es mir vors Gesicht.

„Wow!“ Ich staune und lächele.

Ein total verrostetes Hufeisen.

„It's from a Mine- Donkey!“

Ein Esel. Ja. Ich nicke.

Was für ein kitschig er Moment. Zwei Cowboys im Sonnenuntergang. Ohne Zigarette aber mit einem Hufeisen. Wunderschön.

„It's a lucky sign!“

Du bist auf dem richtigen Weg, Mann. Ich klopfe ihm auf die Schulter.

Ein glücklicher Esel.

„Thanx man!“

Bin Nada. Ich reiche ihm die Hand und ergreift sie.

„I'm Jelle!“

 

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