Datenlos glücklich

Veröffentlicht am 2. Februar 2025 um 12:58

 

Datenlimit erreicht und endlich Ruhe. Bester Empfang für das, was wirklich wichtig ist. Wäre da nicht der Gollum in meiner Tasche. Da hilft nur eines: Schneller sein als das Licht.

 

1. Februar 2024, Unbekannter Hügel bei La Isleta de Moro.

 

Tausend Milliarden unsichtbarer Sterne über mir. Genauso viele wie es Wellen im Ozean gibt.

Auf dem Gipfel dieses Hügels, der vielleicht sogar ein Berg ist, unter lachenden Möwen, denen ich mit meiner Lakota- Flöte Komplimente mache. Hier ist bester Empfang für Botschaften von ganz ganz oben oder auch von tief unten, aus meinem innersten Selbst, dass bis in den Erdkern hineinreicht. Das war der gute Vorsatz in meinem Rucksack, mit dem ich hier hinauf gestiegen bin. Das Herz braucht kein Datenvolumen.

 

'Sie surfen jetzt mit gedrosselter Geschwindigkeit.'

 

Das hatte mir ein namenloser Roboter geschrieben, grußlos, wie eine bittere Gewissheit.

Ich erschrak doch erkannte beim zweiten Hinsehen eine wunderbare Einladung darin.

Ja, vielen Dank auch! Das ist ja auch gar kein Surfen, dachte ich mir. Das hat ja absolut rein gar nichts mit Wind und Wellen zu tun. Es hat was mit einem kleinen verhexten Taschenspiegelchen zu tun, dem wir unsere innigsten Gedanken anvertrauen. Wo wir unsere Sehnsüchten und Begierden in eine Suchmaschine werfen. Wo wir hineinsehen können, aber immer dann wenn wir hineinsehen, schaut auch etwas heraus, beobachtet uns und merkt sich alles. Sammelt Puzzleteile unserer Persönlichkeit, setzt sie an einem nebulösen Ort zusammen und kreiert ein virtuelles Abbild von uns. Und wenn wir nicht ganz doll aufpassen, und wer tut das schon, werden wir mehr und mehr zu einer Kopie dieser Kopie. Das habe ich nicht nötig! Kein Ding, eine Woche ohne das Ding zu sein.

 

Ich nutze das Ding ja auch gar nicht soviel. Kein Instagram. Kein Facebook. Aus Prinzip. Nur ein bisschen Telegram. Und You Tube. Und Spotify. Und eine Homepage hab ich jetzt auch. Und Maps natürlich. Duolingo mach jetzt auch, um ein bisschen Spanisch zu lernen aus aktuellem Anlass. Und die ganzen Push-up- Nachrichten, die mir mein kopiertes Ich passgenau zu wirft. Da weiß jemand, was wirklich wichtig ist in der Welt und wo das steht. Amazon Prime habe ich auch, auch wenn ich mich dafür vor meinen Öko- Freunden schäme. Und die tausend anderen guten Gründe, sein Datenvolumen ständig zu vergrößern. Was man Internet nicht alles nachlesen und lernen kann! Ja, es ist eine unerschöpfliche Quelle des Wissens. Und was man darüber auch alles vergessen und verdrängen kann...

Jetzt also kein Foto vom Sonnenuntergang, um es mit den Freunden zu teilen, die schon tausend Mal mehr Sonnenuntergänge auf Fotos als in echt gesehen haben. Wie auch ich. Was ist eigentlich los mit uns, dass wir ständig alles festhalten und mitnehmen wollen? Wir sind so verdammt zeit- kleptomanisch geworden. Verlieren uns im Kopieren von besonderen Augenblicken und lassen die Originale liegen. Verpasst, weil wir ein Rechteck vor der Seelenlinse hatten.

Es wäre aber auch echt so ein tolles Bild! Mit dem Sunset- Modus aufgenommen sieht es ja fast noch geiler aus. Etwas flacher, aber die Farben dafür satter. Wenn ich mich nicht beeile, ist die Chance verflogen. Dann kann ich es nicht teilen und auch nie wieder angucken. Ich kann es ja später verschicken. Nächste Woche. Am Monatsanfang. Wenn ich begnadigt werde und wieder mit voller Geschwindigkeit mit den anderen mit surfen darf. Fast wie von selbst liegt es plötzlich in meiner Hand: Das Ding.

Aber als die Möwen noch lauter lachen, fällt es mir wieder ein und ich stecke das Ding wieder weg. Es ist ja gar kein Bild! Es ist ja die Wirklichkeit! In Ultra-4D, mindestens! So eine geile Grafik! Und das Verrückteste ist: Man kann überall herumlaufen, einfach so! Keine Levelbeschränkungen. Das Spiel ist so groß, dass man es nie durchzocken kann. Gut, man hat nur ein Leben. Es sei denn man ist Buddhist. Wenn ich jetzt drei Schritte weiter Augen zu und geradeaus gehe, stürze ich die Klippe hinunter und die Möwen haben dann erst recht gut lachen und noch was zu beißen.

 

Die Frage taucht auf, ob Vögel mit Schnäbeln überhaupt beißen können. Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Gleich mal googeln. Und schon hab ich das Ding wieder in meiner Hand. Gewaltsam stemme ich mich gegen meinen Automatismus. Schon war der Wischfinger mir entglitten und der Zahlencode getippt. Gierig starrt mein digitales Ich mich an. Es will gefüttert werden. Mit Informationen. Mit Interessen. Bedürfnissen. Vorlieben und Abneigungen. Mit all dem, was mich als Mensch auf die ein oder andere Art in Wallung bringt. Oder was ich unbedingt wissen will, wie zum Beispiel ob Vögel beißen können oder nicht. Es zieht an meinen Augen und es kostet mich ein kleines Schütteln, um mich wieder dem Sonnenuntergang zuzuwenden und den Zauberspiegel in meiner Tasche verschwinden zu lassen. Noch in der orangenen Glut sehe ich ein Rechteck vor mir.

 

Ich war noch lange ohne Handy geblieben. Ein Fortschrittsverweigerer. Aber nur ein sehr mittelmäßiger. Ich bekam mein erstes Nokia geschenkt, als es schon besseres gab und nahm es dankend an. Das war ein mobiles Telefon, mit dem man auch Textnachrichten verschicken und Snake spielen konnte. Klingt irgendwie als wenn Opa vom ersten Schwarzweiß- Fernseher im Dorf erzählt, auf dem dann alle gemeinsam die vermeintliche Mondlandung betrachteten. Jetzt landen wir bald schon auf dem Mars, verheizen die Erde zum Antrieb dorthin und ich habe wie jeder Mensch ein Smartphone. Eine künstliches Gehirn, mit dem man auch telefonieren kann. Wobei ich ja Sprachnachrichten besser finde. Da kann man einfach aber, ohne zwischendurch dem anderen Zuhören zu müssen. Dabei fällt mir ein, dass ich unbedingt Lukas noch zutexten muss. Sind ja auch spannende Gedanken die ich gerade hab. Einmal wisch und weg, und schon bin ich wieder drin in der Matrix. Ich kann ja schon mal reden, und dann wird es später irgendwann, in einer gottverdammten Woche abgeschickt, wenn der Datengott mich begnadigt hat.

Gollum! Gollum!

Ich stecke den Ring wieder in meine Tasche.

„Ja, Frodo. Wenn du den Ring aufsetzt, wirst du unsichtbar für deine Umwelt. Aber das große Auge, lidlos, immer wachsam, kann dich sehen und sie werden dich finden.“

„Aber Gandalf, was soll ich nur machen?“

„Du musst dein Smartphone dort hinein werfen, wo es geschmiedet worden ist.“

„In die Schicksalslüfter?“
„Nein. In den Wertstoffsammelbehälter.“

Ich muss schlucken. Ich höre, wie es in meiner Tasche atmet. Ich ziehe es wieder heraus. Es ist ganz warm. Es lebt. Irgendwie. Durch mich. Meine Körperwärme. Mein Bewusstsein, mit dem ich es speise.

Nur ein Kästchen mit High- Tech drinnen, von dem ich nie verstehen werden, wie und warum überhaupt es funktioniert. Ich hole aus und Stelle mir vor, wie ich es mit einem Schrei von mir schleudere. Die Klippe hinab in die Brandung. Dort kann es dann surfen, mit Original Wind und Wellen.

„Soll ich es wirklich tun?“, Frage ich meinen inneren Gandalf.

Doch der lächelt nur das verschmitzte Lächeln eines inneren Zauberers eines einfältigen Narren.

„Du könntest damit eine Möwe am Kopf treffen und das wäre eine Umwelt Sauerei.“

Ja, er hat Recht und ich Frage mich einmal mehr, ob Vögel beißen oder nicht. Vielleicht schnappen sie zu. Oder Picken. Aber Picken ist auch was anders als beißen. Gandalf schweigt dazu. Google würde reden. Google hat immer eine Antwort. Google lautet die Antwort auf alle Fragen, von wegen 42. Per Anhalter durch die Galaxis war gestern. Heute gibt es Reisebüros für sowas. Naja,

vielleicht doch eher morgen und auch nur vielleicht.

 

Die Sonne wirft mir noch zwei letzte, V- förmig gespreizten Strahlen zu, dann ist sie hinter dem Scherenschnitt der Bergkette verschwunden.

Und meine lieben Menschen, die sich doch wundern müssen, warum sie heute noch gar nichts von mir gehört haben? Wieder ist meine Hand unterwegs in meine Tasche, bis mein Kopf bemerkt, dass das Ding ja immer noch in ihr gegenständig ist.

„Nein.“, sagt es da laut und diesmal war es nicht Gandalf.

Es war ein Ich hinter meinem Ich. Eine bessere Version von mir selbst. Vielleicht der Prototyp. Vielleicht die Entelechie, die jeder Mensch vom Werk aus eingebaut bekommt, mit dem maximalen Entfaltungspotenzial als eben diese einzigartige Originalvariante, die sich der Welt zum besten zu verschenken habe. Manchmal, wenn mein alter Lack Risse bekommt, blitzt sie durch und hat ungeheuerliche Ideen.

„Du, das heißt ich, werde jetzt meine Gedanken an die lieben Menschen auf traditionelle Weise dem Wind in die backen stecken und der wird sie dann schon zu flüstern wissen.“

„Aber was, wenn die Freunde ihr Fenster verschlossen haben, Headset auf und ihre Augen in ihre Zauberspiegel geklebt haben?“

„Dann ist besetzt. Dann sind sie besetzt. Dann ist vorübergehend kein Anschluss unter dieser Nummer.“

Ich traue mir mal wieder selber nicht und setzt mich neben einen unbekannten Strauch, der die ganze Zeit hier schon unauffällig herumsteht. Der lebt, genau wie ich. Ein Zusammenschluss aus so vielen Zellen wie Sterne im Himmel und Wellen im Meer, wie ich, nur anders organisiert. Keine Augen, keine Ohren, kein Mund, kein Schnabel, keine Frage, ob er beißen kann oder nicht. Der ist einfach da und datenlos glücklich, hoffnungsvoll jeden Tag. Unterstelle ich ihm einfach, zumindest ist er ganz grün.

Dieser Strauch, nennen wir ihn einfach Busch, hat nichts besseres zu tun als hier rumzustehen. Tag für Tag, Nacht für Nacht, bei viel Sonne und wenig Regen, wird vom Wind gleichermaßen gestreichelt und geohrfeigt und ist ein Originalteil des großen, epischen Meisterwerkes namens Erde oder Schöpfung oder Universum, aber das sind ja auch alles nur menschliche Etiketten und deshalb fordere ich ihn auf:

„Verrat mir dein Geheimnis, Busch.“

Doch Busch schweigt. Denn Busch weiß natürlich, dass ein ausgesprochenes Geheimnis kein Geheimnis mehr ist und außerdem ist dieses Geheimnis so groß und umfassend, dass es gar nicht teilbar ist, weil es dann ja auch nicht mehr am Stück und somit unvollständig wäre.

„Ach, Busch, du hast es geschafft.“

Busch nickt und auch mir streichelt der Wind großväterlich über den Kopf.

Ich würde gerne tauschen. Die Seelenruhe und Genügsamkeit von Busch gegen meine Gehirnkopie. Aber die will hier draußen niemand haben. Sie nimmt sich lächerlich aus gegen das Raunen der Wellen, die sich seit Abermillionen Jahren die Geschichten dieser Wirklichkeit überliefern. Gegen den kahlköpfigen alten Berg auf dem ich sitze, der jetzt nur noch ein buckliger Hügel ist und dennoch das Plastik- Zeitalter mit einem Schulterzucken überdauern wird. Und vom Wind, der alles davon trägt wollen wir gar nicht reden. Der kennt sich, auch ohne Google Maps. Sagt den Kranichen wo es lang geht und webt den Narren und Poeten ihre Flausen in die Ohren.

 

Das Smart- Hirn liegt im Staub. Die Flöte in meiner Hand. Der Wind in meinem Atem und zusammen spielen wir das uralte, ewig neue Lied. Nennt es retro, nennt es romantisch, nennt es kitschig. Dem Wind ist es egal, den Wellen auch und Busch sowieso.

Ein Ton zaubert den anderen aus dem Hut hervor, bis sie alle miteinander tanzen, mal wild, mal ganz bedächtig. Jeder von ihnen küsst einen Stern wach. Der Nachthimmel öffnet seine tausend Augen.

Es gibt kein künstliches Licht das meinen Blick zerstreut, kein Netz, dass meine Seele am Fliegen hindert. Die Zeit ist aufgehoben. Die Welt ein geräumiges Ein-Mann- Zelt. Ich denke und fühle an die Menschen, die mir am Herzen liegen. Egal wo sie sind, egal ob sie noch sind oder schon waren. Mein Original beschleunigt aus Eigenantrieb heraus auf Lichtgeschwindigkeit.

Busch lacht. Für den Raum vielleicht ganz gut, aber viel zu langsam, um in der Zeit zu reisen. Das stimmt. Und deswegen lege ich noch einen Gang zu und stelle den Hebel auf Gedankengeschwindigkeit. Und nun passiert alles zeitgleich. Jetzt ist alles zeitgleich.

Keine Kopie kommt da mehr hinterher. Und von hier aus betrachtet, nebenbei bemerkt, ist es auch gar keine Kopie mehr. Es ist eine Karikatur. Eine Karikatur von dem, was wir eigentlich sein können. Was wir von Haus aus sind. Original eingefleischte Entelechie, wir erinnern uns. Und falls es jemand nicht glaubt: Fragt einfach Busch!

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