Brief an die Kraniche

Veröffentlicht am 17. Oktober 2025 um 13:46

Liebe Kraniche, Windgeweihte.                                      Nordpfälzer Bergland,14.Oktober 2025

 

Heute hallte euer Ruf in meinem Herzen wieder. Wie schon so oft, immer zur gleichen Zeit im Jahr, im immer gleichen Herzen, dass einst schon in dem kleinen Jungen schlug, der an der grünen Mauer seines Elternhauses hochblickte und Mamas Zeigefinger folgte.
„Die Schneegäns fliegen. De Winter kommt.“


Aus welcher Welt nur wart ihr gekommen? In welche würdet ihr ziehen? All das war fernab meines Horizontes, unerreichbar wie dieser Pfeil aus Federn dort im Himmel. Wir winkten euch nach und ich versuchte mir vorzustellen, wie klein wir in euren Augen erscheinen mochten.


Ihr Schneegänse lebtet in einem Geheimnis. Unergründlich für die Menschen und ihr tut es immer noch. Auch wenn wir glauben euch gut erforscht zu haben. Die meisten Menschen wissen nichts, gar nichts von eure Seele, ihr Luftnomaden. Als Kind wenigstens erahnte ich, dass es dieses gäbe und nun, da es ja immer noch das gleiche Herz ist, dass da in meiner Brust wummert, ahne ich weiter und immer weiter, weil ich gerne staune und mich wundere über diesen heiligen Schauer, der mich so sehnsuchtsvoll streift, wann immer ich euren Ruf vernehme.


Wie heute, auf dieser Anhöhe im Nordpfälzer Bergland, irgendwo zwischen Michgibtsjagarnichtheim und Gutenachtherrfuchsberg. Goldene Wälder in weiten Wiesen gestreut, dazwischen kahle Äcker. Ab von der Landstraße bei Sonnenuntergang, vor irgendeiner Hecke geparkt und da taucht ihr aus der Tiefe des Himmels auf, als wolltet ihr einen alten Freund grüßen. Ich renne hinaus, sehe euch kommen, werfe mit meiner Flöte Töne in die Luft, ein Call and Response Gebet, und wünsche euch eine gute Reise.


Damals wäre ich gerne ein kleiner Nils Holgersson gewesen. Ein von einem Zaubermännlein klein gehexter Junge mit roter Mütze und Holzschuhen und einem sympathischen Hamster namens Krümel, der mit den Wildgänsen übers Land zog. Tief ins Gefieder einer Hausgans namens Martin gekuschelt, die sich losgerissen hatte um der Sklaverei der Menschen zu entfliehen. Die den sicheren Stall und den garantierten Brotkrumen aufgab, um sich der gefährlichen Schönheit des Wilden hinzugeben. Sie reisten zu verwunschenen Orten, mystischen Plätzen und erlebten dabei Dinge, den dem normalsterblichen Bodenvolk verborgen bleiben mussten. Und genau das wollte ich auch.


Nun bin ich nie geschrumpft, Gott sei Dank vielleicht, und ich habe auch nie die Lufthoheit erlangt. Doch war es die Sehnsucht die mir im Herzen blieb und mich nun in einer Kiste auf Rädern, mit Bett, Tisch und Ofen eurem Ruf folgen lässt. Federn trag ich auch ab und an im Haar. Federn pflücke ich vom Boden und steck sie mir in die Schuhe um leichtfüßig er durchs Leben zu gehen oder in die Rinde von Bäumen, als Zeichen für unbekannte Weggefährten. Zwar habe ich ungleich mehr Gepäck dabei als ihr, meine lieben Schneegänse, die ihr euch ja nur selber zu tragen habt, doch ich habe nun gleich euch ebenfalls die große Zugfreiheit, dahin zu gehen, wohin der Wind mich trägt. Dafür will ich heute dankbar sein. Insbesondere euch Kranichen und dem Deut meiner Mutter in den Herbsthimmel.


Und während mein Stift übers Papier jagt, um meine Gedanken einzufangen, ruft es draußen schon wieder nach mir. Auf nach Süden, meine Freunde, den Wind im Genick. Bald werde ich euch wieder folgen. Versprochen.


Bis gleich.
Jano

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