Sabarat, Ariege, 11.12.25
Eine Hügelkuppe mit einem Bauernhof darauf, weite Sicht rundum. Grüne Hügel, fast ein bisschen Irland, Bärenmarke Idylle mit Weiden und Feldern, hier und da Wald. Dahinter die weißen Gipfel der Pyrenäen, wie auf einer Schnur aufgefädelt. Mein Weg mit dem Fahrrad zu der Farm führt mich über Bäume, die quer auf die Straße geworfen sind, durch Gräben im Asphalt, vorbei an nach Benzin riechenden Strohballen und Reifen. Barrikaden. Bei der Farm ein paar hundert Menschen, herumstehend, in Gespräche vertieft, Gesichter in grimmige Falten gelegt, hier und da ein Lächeln. Dahinter in den Ställen 208 Kühe, die kauen und muhend die schweren Köpfe schütteln. Kälber bei ihren Müttern, die mit süßen Kinderaugen hoffen, dass diese Welt eine gute sei.
Eine von diesen Kühen hatte LSD, was zwar kurios, jedoch nicht weiter tragisch wäre, in dem Sinne des LSD wie es die meisten kennen. Aber es gibt noch ein anderes LSD, welches eine Rinderseuche benennt: Lumpy-Skin-Disease. Eine nicht auf den Menschen übertragbare Viruserkrankung, die mit knotigen Veränderungen der Haut und der inneren Organe einhergeht.Selten verendet ein Tier an der Dermatose. Übertragen wird die Krankheit durch Mücken. Die Kühe stecken sich also nicht direkt gegenseitig an. Sie magern ab, haben Fieber und eine verminderte Milchleistung. Milchleistung, was für ein Unwort. Aber das sind Rinder in dieser Welt für die meisten von uns: Die Butter auf dem Brot, die Frikadelle mit dem Gürkchen, der Käse in den Spätzeln. Kurzum: Fleisch-und Milchmaschinen, einzig dafür da, um unsere Bedürfnisse zu stillen.
Nun war also eine Kuh aus dem Bestand des kleinen Bauern an LSD erkrankt. Der Tierarzt meldete den Fall ordnungsgemäß dem Veterinäramt und der Staatsapparat kam ins Rollen. Entscheidung: Keulung des gesamten Bestandes und Entsorgung der Kadaver durch Verbrennen. Keulung, wieder ein Wort so hässlich, wie der Geist dem es entsprang. Um dieses unnötige Massaker zu verhindern, schlug der Bauernverband eine Quarantäne mit weitreichenden Schutzmaßnahmen vor. Dazu eine Impfung der umliegenden Herden, sowie es beispielsweise auch in der Schweiz stattgefunden hat. Abgelehnt. Keulung.
Auf den schmalen Zufahrtsstraßen stehen die Traktoren hintereinander. Ein Bagger hat einen Graben in die Straße gerissen. Unter dem Geheul der Kettensägen fallen alte Eichen. Da blutet mir das Herz. Über dem Hügel kreist wie ein Unglückshäher der Polizei-Hubschrauber. Mir scheint, ich befände mich bei einer Burg, die sich für den Ansturm des feindlichen Heeres richtet. Eine Übermacht, die mit schwerem Kriegsgerät auf dem Weg ist, um den Widerstand zu brechen und die Kühe zu töten. Videos kursieren, wie ein Bagger Autos, die der Kolonne im Weg stehen, packt und auf das Feld wirft. Reden werden geschwungen. Der Anführer einer gelbe Mützen tragenden, rechtspolitischen Organisation schwört den Haufen aus Bauern und Bürgern ein und nutzt die Gunst der Stunde gleich noch für etwas Werbung in eigener Sache. Die Linken buhen ihn aus. Dann halten sie ihre Rede und natürlich werden auch sie ausgebuht. Dennoch eint mitunter nichts mehr als ein gemeinsamer Feind und der ist im Anmarsch. Unter dem charmanten Präsidenten Emanuel Macron, der natürlich von diesem Kleinkram hier nichts mitbekommt, sind um die zwanzig Busse voller Polizisten unterwegs, angeführt von gepanzerten Fahrzeugen, unterstützt von zwei Baggern.
Malerisch sinkt die Sonne am Ende eines an sich schönen Tages, gäbe es nicht die Menschen und den Irrsinn, der sie antreibt. Alles steht still. Verträumte Blicke zu den Bergen. Weiß, blau und orange. Menschen wärmen sich an kleinen Feuern. Die Kühe gehen schlafen. Auch ich genieße das Verglühen unter der aufziehenden Wolkenfront. Es ist die Ruhe vor dem Sturm.
Mit der Dunkelheit kommt die Kälte und der Wind. Blaulichter tauchen auf. Etwas einen Kilometer vor der Farm steht die erste Barrikade in Flammen. Feuerwerksraketen fliegen von den schwarzen Maschinen. Dichter Nebel quillt aus ihnen hervor. Ich laufe an den anderen Barrikaden vorbei zur vordersten Linie. Bis ich ankomme, ist sie schon gefallen. Neben den Fahrzeugen rücken die Gendarmen in ihren Ritterrüstungen vor. Sie sehen heutzutage überall gleich aus: Genormt in schwarzer Uniform, Helme mit Visier, Gasmaske, durchsichtige Plastikschilder, Schlagstöcke, Pistolenhalfter. Was mache ich hier? Ist das wirklich mein Kampf? Ich habe Demonstrationen immer gemieden. Sie schienen mir zu plakativ und letztenendes bedeutungslos im großen Weltenringen. Doch jetzt bin ich mittendrin in einem Kampf gegen diese Übermacht. Um die Kühe zu retten, die ich heute Mittag noch gestreichelt habe. Um diese Ungerechtigkeit nicht still zu schlucken. Und vielleicht auch, weil ich das hier einfach erleben und erfahren will. So ziehe ich meine Schleuder, lege eine Stahlkugel auf und schieße sie den dunklen Gestalten entgegen. Um mich her schwingen meine Mitstreiter ihre Stecken, werfen brüllend Feldsteine. Ein Witz. Konfetti, gegen das, was da auf uns zurollt.
Ohrenzerfetzende Bombenschläge werden in die Menge gefeuert. Wer da zu nahe steht, dem platzt das Trommelfell. Wir weichen zurück. Bis hinter die nächste Barrikade. Der Zug stoppt wieder, feuert eine Tränengassalve nach der anderen in die Menge. Ich irre durch den beissenden Nebel, meine Lunge brennt, meine Augen tränen. Die Wucht dieses Angriffes schockiert mich. Ich laufe auf eine Anhöhe, wo ich mich in den Schutz einer dicken Eiche setze. Meine Augen tränen weiter. Das hat jetzt aber nichts mehr mit dem Gas zu tun. Es ist das Ausmaß an Gewalt, an Übermacht, an Kaltblütigkeit, die diese Maschinerie gegenüber Mensch und Tier entfesselt. Und die Wut und das Entsetzen gegenüber dem bösen Willen, der sie antreibt. Ja, es sind Maschinen. Menschen in Roboterkostümen, dazu programmiert, zu funktionieren, ihren Job zu machen. Für Vater Staat und für die persönliche Karriere. Dazu bin ich berührt von dem Mut, die dieser kopflose Pöbel aufbringt, um die Tiere zu retten. Mögen wir alle es bei unserem nächsten Einkauf im Supermarkt bedenken.
Ich stehe auf, halte mich an meiner Schleuder fest. Bewege mich seitlich hinter den Hecken, bis ich die Roboterarmee direkt neben mir habe. Dann bearbeite ich sie mit Schüssen durchs Gesträuch. Die Stahlkugeln haben einen Mordsbumms. Allerdings sind die Panzerungen genau dafür konzipiert, solche Steinzeitwaffen lächerlich zu machen. Knüppel, Stein und Schleuder gegen diesen eisernen Lindwurm, der sich durch die Felder bohrt. Bezahlt vom Geld der Leute, denen sie nun immer mehr Tränengas entgegenschleudern. Hustend und kotzend weichen die Aufständischen zurück. Ich schließe trotz allem weiter. Ein Licht schwenkt durch die Hecke auf mich. Scheint ich hab einen Wirkungstreffer gelandet. Aber auch der ist bestenfalls fürs Prinzip.
Rückzug zur Eiche. Dort setze ich mich wieder auf ihre Wurzeln, lehne an ihrem Stamm, fühle ihre tiefe Ruhe und Erhabenheit über all dem Menschwirrwarr. Ich werde ganz ruhig und beginne zu singen. Fremde Silben wohlvertraut. Seelensprache, Worte ohne Kopf- Assoziationen. Friedlich, wie ein alter Medizinmann, der auf einem Berg über dem Little Big Horn betet, während unten die Kinder der Heimaterde gegen die Übermacht der Invasoren kämpft. So war es immer. Und fast immer gewannen die, die zu mehr Gewalt bereit waren. Die skrupelloser waren. Das was in diesem geheimen Moment durch mich passiert, könnte eventuell mehr ausrichten als meine Kügelchen. Vielleicht mache ich ja ein Energiebällchen, dass auf unbewusster Ebene ins Bewusstsein derer dort unten dringt. Als ein leiser, kaum vernehmbarer Gesang des Mitgefühls. Wenigstens bei einem von diesen Marionetten. Ein frommer Wunsch.
Dann steht der Zug plötzlich still. Ich fasse es nicht. Hat es funktioniert? War ich das? Wäre ja zu schön um wahr zu sein. Ich laufe nach vorne an die Frontlinie. Einen Meter nur trennen die Roboter von den Menschen. Es wird anscheinend verhandelt. Männer und Frauen reden alle durcheinander auf die stummen Vassalen ein. Appellieren an ihre Menschlichkeit, dass sie nicht dieser korrupten Regierung dienen sollen. Ich sehe in die Gesichter der Polizisten. Junge Frauen, Männer mit Milchbartflaum. Zwischendrin auch ein paar abgezocktere Hartwüste. Unter ihren Kostümen Leute wie du und ich. Fast. Sie haben ihren Willen verkauft. Lassen sich maschinisieren. Funktionsteile. Und genau so funktioniert Krieg.
Hoffnung keimt auf. Der Pöbel gröhlt die französische Nationalhymne. Ein Hippie beflötet Freund und Feind. Doch dann tritt ein dicker Feldwebel vor, verliest mit Megaphon ein paar Zeilen von seinem Spickzettel. Die Leute buhen und brüllen: "Merde ! Merde!" Dann heult die Sirene des Panzerwagens und in der nächsten Sekunde fliegen schon die Tränengasgeschosse mitten in die Menge. Heillose Flucht. Vor mir liegt ein Baum über der Straße, teilweise in Brand. Ich kämpfe mich durch die Krone, da platzt genau neben mir so eine Gasgranate. Im nächsten Moment bin ich komplett eingenebelt. Schließe die Augen, halte die Luft an, stecke aber im Geäst fest. Das Tuch vor meinem Gesicht bringt nicht viel. Ich reiße die Augen auf, muss nach Luft schnappen, bekomme aber nur Gas in die Lungen. Wenn ich hier hängen bleibe krepier ich. Irgendwie taumele ich aus dem Nebel, den Hang hoch, werfe mich meiner Eiche entgegen. Ich sehe nur noch verschwommen, rotze und huste das Gift aus meinen Atemwegen. Alles brennt. Ich habe nie solche Schmerzen in der Lunge gehabt.
Langsam lässt es nach und gerade als ich wieder einigermaßen klarkomme, sehe ich schemenhaft Helme und Schilder nur wenige Meter vor mir auf mich zukommen. Die werden mich nicht schonen. Ich springe auf und schieße ihnen wutentbrannt eine Kugel entgegen, dann renne ich weiter hinter drei Häuser, von denen das erste nur noch eine Ruine ist. Durch ein Loch in der Rückwand steige ich hinein und fühle mich tatsächlich wie im Krieg. Ich muss an meinen Vater denken, der als achtzehnjähriger Soldat alle Schrecken des zweiten Weltkrieges durchlebt hat. Gegen das ist mein Erlebnis sicher nur ein Karnevalsumzug, dennoch spüre ich zumindest annähernd zum ersten Mal an der eigenen Haut, was ich sonst nur aus dem Fernsehen kenne. Ich bin in einen Kampf geraten, der weit weg von meiner Heimat stattfindet. Bin ein Fremder unter Fremden, aber fühle mich gerufen, weil mir die Kühe leid tun, auch ihr Bauer und weil ich Wut auf dieses abgründige System verspüre. Ich werde in diesem Leben niemals eine Nationalhymne singen, von keinem Land der Erde, denn alle Staaten haben doch eines gemeinsam, egal ob sie rechts, links, liberal oder konservativ regiert werden: Es sind technokratische Konstrukte, fernab jedes Mitgefühls. Kalt und anonym.
Ich mache meine Lampe an, leichte durch die Ruine. Allerhand Gerümpel, leere Kanister, vergammelte Möbel, doch da bei den Reifen: Ene armlange, fünfendige Geweihstange! Wollte ich immer schon haben. Glück im Unglück. Mit ihr ‚bewaffnet‘ gehe ich wieder nach draußen. Gerade noch rechtzeitig, denn die Gendarmen rücken nun auch hinter den Häusern vor. Mein nächster Fluchtpunkt ist eine höher gelegene Terrasse, von wo aus ich eventuell ein paar Treffer landen könnte. Über mir steht der Hubschrauber, scharrt drohend mit den Rotorenblättern in der Luft und lässt einen grellen Lichtkegel wie ein böses Auge kreisen. Es hilft nichts, ich bin hinter die Front geraten, muss wieder vor, zurück zur Burg. Die Armee der Finsternis hat sie schon fast erreicht. Nun sehe ich von der Seite das ganze Ausmaß. Riesige Nebelschwaden werden über die Hänge geweht. Davor brennt die Straße. Undurchdringlich für mich. Jeder Atemzug schmerzt. Das Gas ist überall. Ich klettere über einen Zaun und schleiche hinter einer Scheune entlang.
„Psst , ici, ici!“, höre ich es flüstern, dann noch irgendetwas französisch- unverständliches. An der hinteren Wand des nach vorne offenen Gebäudes stehen ein paar Gestalten. Ein kleines Mädchen spricht ganz ängstlich, bedeutet mir mich hier zu verstecken, sie wären ganz nahe. Ich will eigentlich weiter, wieder zur Burg, auf die richtige Seite. Aber aus Mitgefühl mit der Furcht des Mädchens bleibe ich erstmal da. Diese Leute haben solche Angst, als käme gleich ein Erschießungskommando hier vorbei. Vorstellbar ist es in dieser brennenden Nacht allemal. Wir atmen schwer, die Augen sind feucht. Immer weiter fliegen Granaten in die zurückweichende Menge. Nun stehen die Fußsoldaten direkt neben unserer Scheune. Der Erste der reinkommt, bekommt meine Geweihstange auf den Helm! Natürlich Schwachsinn. Aber ich merke, wie diese Situation mich mit einem Teil von mir verbindet, den ich sonst eigentlich nie spüre. Kampfbereitschaft. Risikobereitschaft. Gespeist aus der Wut gegenüber dieser Ungerechtigkeit.
Winnetoumäßig robbe ich vor. Spähe hinaus. Ich würde jetzt gerne sagen, dass die Luft rein wäre. Aber sie ist verpestet. Trotzdem husche ich aus der Scheune weiter hinter einen Traktor. Kaum zu ertragen, aber ich muss da irgendwie durch. Plötzlich tauchen zwei Männer neben mir auf. Wir erschrecken uns gegenseitig. Das wäre Privatgrundstück, ich dürfe hier nicht sein! Ich zucke mit den Schultern und deute auf das Kampfgetümmel und die Nebelfront. Wo soll ich denn hin? „It’s not allowed to be here!“ Feige Kollaborateure. „Call the Police,“ sage ich zu ihnen, winke mit der Geweihstange und laufe weiter Richtung Zaun. Dahinter eine abfallende Weide. Ich krieche durch die Drähte und werde mit einem satten Stromstoß niedergestreckt. Egal. Weiter. Adrenalin ist ein geiles Zeug.
Unterhalb des Schleiers dieses sich immer weiter ausbreitenden bösen Geistes, überhole ich die Armee der Finsternis und tauche wieder bei meinen Leuten auf, von denen ich ja nicht einen einzigen kenne. Die Traktoren weichen mit eingeklemmten Schwanz zurück. Von denen hätte ich mehr erwartet, so machtvoll trotzig sie auf der Straße standen. Aber keiner will hier sein bestes Pferd im Stall riskieren. Schade, aber verständlich.
Der Feind ist nicht mehr aufzuhalten. Sie schießen immer mehr Gas auf die Verteidiger. Ein Mann wird bewusstlos weggetragen. Ein anderer zeigt seine blutige Hand. Die Granaten schlagen vorm Kuhstall ein und macht ihn zur Gaskammer. Es ist schrecklich. Davor galoppiert ein Pony panisch kreuz und quer durch seinen Pferch. Die Leute schreien, während die Panzerfahrzeuge nun auch über weite Distanz auf die gesamte Farm schießen. Es gibt kein Halten mehr. Der Kampf ist verloren. War es von Anfang an. Alles löst sich in Rauch auf. Verzweifelte Wutschreie der Menschen, panisches Brüllen der Kühe. Bombenschläge, alles zerfetzend. Die letzten vielleicht zweihundert Menschen versammeln sich unten vor der Farm. Der Stall ist eingenommen, komplett umstellt. Der Widerstand gebrochen. Trotzdem schießt die Staatsgewalt weiter in die Menge. Es ist abartig. Einfach nur böse. Ich glaube, in so einer Situation fehlt nicht viel, um mit scharfer Munition auf diese Maschinenwesen zu schießen. Einfach weil nichts mehr menschliches an ihnen wahrzunehmen ist. Aber wir sind wehrlos. Bauernpack. Mittelalterlich. Weniger. Steinzeitlich gegen die imperialistischen Sturmtruppen, ein jeder von ihnen ein kleiner Möchtegern-Darth Vader.
Mit Strategie und guter Führung hätten wir ihnen das Leben schwerer machen können Vorne Barrikaden, die vor allem dadurch gestärkt worden sein könnten, hätten die Traktoren die entlang der Straße verlaufende Stromleitung umgerissen. Ein Teil der Menschen hätte den Zug von hinten angreifen müssen, einzelne Grüppchen an vielen Stellen an den Flanken. Immer wieder, zuschlagen, abhauen, wie die Germanen im Teutoburger Wald die Legionen des Varus geschlagen haben. Dann wären sie aus ihrer Ordnung gefallen, sie können ja nicht drehen und nicht wenden und die beiden Panzerfahrzeuge sind nur am Kopf. Wir hätten den Lindwurm in den Schwanz beißen müssen. Aber ich bin der, der hier kein Wort versteht und der hier niemanden kennt. Und dann hätten sich ja die Rechten und die Linken und alle dazwischen und außerhalb einig sein müssen, wär hier anführt. Unmöglich in so einem Pöbel. Gedankenspielerei. Bestenfalls hätten wir sie länger beschäftigt, gewinnen konnten wir nie. Sie hätten mehr Leute geholt, immer mehr. Es hätte viele Verletzte und Gefangene gegeben.
Ich bin unfassbar traurig. Ein schlimmes Gefühl dazustehen und zu wissen, was dort oben mit denen bereits in absolute Todesängste versetzten Tieren passieren wird. Es ist grausam und feige. Absolut überzogen in dieser brutalen Radikalität. Ohnmacht, trotz Steinschleuder und Geweihstange. Zutiefst empfunden weil tatsächlich erlebt. Es ist hier und heute dass, was tagein tagaus auf der Welt passiert, von einer entseelten Megamaschine, die unstillbar gierig ist nach Lebensenergie, wie ein galaktischer Vampir, der diesen wunderschönen Planeten befallen hat und mit ihm die Herzen so vieler Menschen. Manche sind nur ein wenig von ihm besessen, andere voll und ganz. Untote, die durch diese Welt spuken und ihr Unwesen treiben.
So gehe ich nach Hause. Vorbei an niedergeschlagenen Menschen, Trauer, Angst und Wut.
Und das Glück, von dem ich so gerne schreibe und erzähle? Wo ist es in so einer Situation? Nichts als ein stummes Gebet im Ohr eines tauben Gottes. Den Guten gehört die Hoffnung, den Bösen die Macht. So verhält es sich doch in unserer Geschichte und Gegenwart. Das Heil und die Erlösung wird immer in einer nahen Zukunft verortet. Sei es die Rückkehr von Jesus Christus, der Bewusstseinswandel 2012 oder der Aufstieg der Erde in die nächste Dimension. In so einer Situation erscheint es mir als billiges Opium fürs Volk, damit wir das Unertragbare ertragen können. Was heute mit den Kühen passiert, kann morgen auch wieder mit Menschen passieren. Ausgeübt von Leuten hinter Masken, die jedwege Menschlichkeit entstellen. Gutgeschmierte Funktionsteile der Megamaschine, die unsere Welt in kleine Scheibchen zerteilt und verschlingt. Zur Belohnung gibt es nach altbewährtem Prinzip Burger und Spiele.
Ich hör jetzt auf. Es tut mir leid, diese düsteren Gedanken zu teilen und doch sind sie heute meine Realität. Natürlich werde ich mich morgen wieder dem Prinzip Hoffnung verschreiben. Was bleibt mir schon übrig? Überall und Nirgends nach dem Glück suchen und meine Geschichten darüber teilen. Und auch von dem, was ich sonst noch fand, so wie heute Nacht. Aus all dem ist die Welt gemacht, der Mensch wohl auch und ich sowieso. Im besten Falle lernen wir daraus. Reifen heran, als eine Frucht der Erkenntnis von Gut und Böse. Damit wir unterscheiden können, wohin wir gehen wollen.
Die Kühe und Kälber wurden am nächsten Tag ermordet. Ihre Kadaver werden 'entsorgt', vermutlich verbrannt. Der Bauer enthält als Entschädigung lediglich den Anschaffungspreis neuer Rinder. Kauft er keine, bekommt er gar nichts. Man muss wissen, dass es nicht möglich ist, irgendwo zweihundert Rinder zu kaufen. Der Aufbau einer eigenen Herde ist viele Jahre harte Arbeit. Manche Herden sind Generationenprojekte.
Die Bauern haben dem zuständigen Ministerium ein totes Kalb ans Tor gehangen. In Toulouse wurde die Autobahn und der Flughafen blockiert. Bauern räumten Kühltruhen in Supermärkten aus und warfen Rindfleischprodukte aus Südamerika vor die Eingangstüre.
Zwei Tage später wurde der nächste LSD-Fall auf einer Farm fünfzig Kilometer weiter entfernt gemeldet. Der Bauer hat angekündigt zu kämpfen.
Hintergrund des ganzen ist das MERCOSUR-Abkommen, dass bald unterschrieben werden soll. Südamerika wird im Zuge dessen mit drastisch gesenkten Zöllen Rindfleisch, Zucker und Soja in die EU importieren dürfen. Dafür Europa Autos und Pestizide, die hier teilweise längst verboten sind, in die MERCOSUR-Staaten. Viele Bauern fürchten das Aus ihrer 'kleinen' Betriebe, gegen die Mega-Farmen mit über zehntausend Rindern und keinen Tierwohl oder Umweltschutzauflagen in Südamerika. Im Zuge des größeren Marktes wird die Rodung des Regenwaldes weiter befeuert, somit auch die Klima- Entwicklung. Die Zusammenhänge sind kolossal, die politischen Entscheidungen nicht der Wille des Volkes. Es gibt Vermutungen, dass LSD und die drastischen Maßnahmen genutzt werden, um die Bauern systematisch zu schwächen und zur Aufgabe zu zwingen.
Es lohnt sehr, sich weiter zu informieren! Es betrifft uns alle. Ich verlinke dazu einen übersichtlichen Artikel von Greenpeace Österreich. Es gilt für alle EU Länder.
https://share.google/JVxVUXlpwy6luh8U4
Im Anschluss gibt es noch Videos zu diesem Fall. Französisch, aber man kann englische Untertitel einstellen.
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